Die Soziale Arbeit ist ein Berufsfeld voller Herausforderungen.
Wer hier tätig ist, kennt die äußeren Begrenzungen nur zu gut: überlastete Teams, zu wenig Zeit, finanzielle Engpässe und oft auch ein Mangel an Anerkennung. Kein Wunder also, dass viele sich wie Opfer eines Systems fühlen, das sie kaum beeinflussen können. Und dann gibt es noch die Eigenverantwortung.
Doch was, wenn wir diese Perspektive hinterfragen? Was, wenn wir einen Teil dieser Begrenzung selbst aufrechterhalten, indem wir uns genau in dieser Opferrolle halten?
Wie viel Macht geben wir dem System – und wie viel nehmen wir uns selbst?
Eines ist klar: Das System hat feste Regeln und Grenzen. Doch wo liegt der Punkt, an dem wir aufhören, diese Strukturen als gegeben hinzunehmen und beginnen, eigene Entscheidungen innerhalb dieses Rahmens zu treffen?
Wer immer nur mit den Umständen hadert und sich über die Bedingungen beschwert, verlernt dabei schnell, wie viel er oder sie tatsächlich selbst verändern kann.
Und hier kommt die entscheidende Frage:
Wollen wir uns nur beklagen, oder wollen wir auch einen Unterschied machen?
Die Opferrolle verstehen: Warum wir uns darin oft wohlfühlen
Die Opferrolle hat auf den ersten Blick etwas Tröstliches. Sie erlaubt es uns, die Verantwortung für viele Dinge, die schieflaufen, abzugeben – auf „die da oben“, auf den „Zustand des Systems“ oder auf „die Gesellschaft“.
Es ist oft bequemer, sich im Beklagen zu üben, als in die Handlung zu gehen.
Denn Handlung bedeutet auch Risiko: das Risiko, Widerstand zu erfahren, Veränderung zu leben, und vielleicht auch das Risiko, in unserem Umfeld unangenehme Fragen aufzuwerfen.
Aber was ist, wenn wir diesen inneren Käfig verlassen und das „Opfer-sein“ loslassen?
Wenn wir beginnen, unsere eigene Haltung zu reflektieren und uns bewusst entscheiden, Verantwortung zu übernehmen?
Aus der Haltung heraus handeln: Der erste Schritt in Richtung Eigenverantwortung
Eigenverantwortung in der Sozialen Arbeit bedeutet nicht, dass wir plötzlich alle strukturellen Probleme lösen können. Sie bedeutet aber, dass wir innerhalb des Machbaren unsere Stimme erheben und Haltung zeigen.
Wie sieht das in der Praxis aus?
- Den eigenen Wert kennen und kommunizieren:
Erkenne den Wert, den du täglich in die Arbeit einbringst. Es geht nicht nur darum, die Aufgaben „abzuarbeiten“, sondern aktiv Lebenswege mitzugestalten. Mach dir klar, dass DEINE Arbeit zählt – und sprich das auch an. Indem du bewusst formulierst, was du in deinem Beruf leistest und wie wertvoll dein Beitrag ist, stärkst du nicht nur dich selbst, sondern inspirierst auch andere dazu, ihre Arbeit als wertvoll zu erkennen.
- Klare Grenzen setzen – im Sinne der Selbstachtung:
Du bist nicht verpflichtet, jede zusätzliche Aufgabe zu übernehmen oder ständig über deine eigenen Grenzen hinauszugehen. Ein Nein zu Aufgaben, die dich überlasten, ist ein Ja zu deiner Gesundheit und langfristigen Leistungsfähigkeit. Indem du klare Grenzen setzt, zeigst du, dass auch deine eigenen Bedürfnisse und Ressourcen wertvoll sind und respektiert werden müssen.
- Selbstbewusst mit unrealistischen Erwartungen umgehen:
Oft gibt es die unausgesprochene Erwartung, dass pädagogische Fachkräfte „alles schaffen müssen“ – unabhängig von den Arbeitsbedingungen. Doch diese Einstellung ist nicht nur ungesund, sondern auch unrealistisch. Sei mutig genug, Missstände anzusprechen und darauf hinzuweisen, wenn Aufgaben oder Anforderungen schlichtweg nicht machbar sind. Deine Stimme zählt, und eine realistische Einschätzung ist kein Versagen, sondern ein Akt der Selbstachtung und des Realismus.
- Verstärkt Eigeninitiative für deine Bedürfnisse zeigen:
Erkenne deine Bedürfnisse und suche nach Wegen, sie zu erfüllen. Dazu gehört zum Beispiel, sich Zeit für Pausen zu nehmen, ohne sich schuldig zu fühlen. Auch kleine Auszeiten und Gespräche mit anderen können dabei helfen, dir selbst mehr Raum und Respekt zu geben.
- Loyale Professionalität:
Manche Fachkräfte fühlen sich verpflichtet, ständig über sich hinauszuwachsen – doch wahre Loyalität zu deiner Arbeit bedeutet auch, auf dich selbst zu achten. Nur wenn du deine eigenen Ressourcen und Grenzen respektierst, kannst du nachhaltig in deinem Beruf wirken. Loyale Professionalität heißt nicht, alles zu ertragen, sondern ehrlich und verantwortungsbewusst mit deinen Kräften umzugehen.
- Innere Haltung – dein größtes Schutzschild:
Mit einer klaren Haltung, die deinen Wert anerkennt, stehst du auch in schwierigen Situationen stabiler da. Diese innere Haltung hilft dir, gelassen zu bleiben, wenn dir äußere Umstände und Erwartungen Druck machen. Es ist dein mentales „Schutzschild“, das dich davor bewahrt, dich vom System 'verschlucken' zu lassen.
Mut zur Veränderung: Die Opferrolle loszulassen bedeutet Freiheit
Den Käfig zu verlassen, den wir oft unbewusst mit aufrechterhalten, ist kein leichter Schritt.
Es bedeutet, unsere Komfortzone zu verlassen und Verantwortung zu übernehmen – und das, ohne zu wissen, was dabei auf uns zukommt. Doch diese Freiheit, die wir dadurch gewinnen, ist ein wichtiger Schritt zu mehr Zufriedenheit im Beruf.
Vielleicht bedeutet es auch, dass wir ein Stück weit lernen, für unsere Werte einzustehen und uns so als Gestalter zu sehen und nicht nur als Leidtragende des Systems. Denn nur wenn wir innerlich stark und gefestigt sind, können wir wirklich wirken und für die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen das Beste erreichen.
Wie gehst du damit um, dich nicht in die Opferrolle ziehen zu lassen?
Welche kleinen oder großen Schritte hast du schon unternommen, um die Dinge in die Hand zu nehmen? 👇
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